Exkurs zum Begriff ‹Natur›

Der Begriff ‹Natur›, z.B. im Zusammenhang mit ‹natürlicher Geburt›, wird nicht immer gleich verstanden; wir bei GuF gehen dabei von folgenden Aspekten aus: der lebende Organismus ist ‹anregbar› (In Büchern der vor-modernen Medizin wird von der ‹Incitabilitas› des Lebendigen gesprochen, im Gegensatz zur Nicht-Anregbarkeit oder Inertheit der anorganischen/nicht-lebenden Materie/Natur); der lebende Organismus strebt danach ‹sich selbst zu organisieren› (die moderne Systemtheorie spricht von der ‹Selbstorganisation› eines Systems).

Die genannte Anregbarkeit und die Fähigkeit zur Selbstorganisation wurde im Laufe unserer Lebensgeschichte stark beeinflusst und - günstig oder ungünstig - verändert; auch ist sie stark von unserer aktuellen Lebenssituation, inklusive des Ortes, wo geboren werden soll, abhängig. Das bedeutet, dass jede/r ihre/seine EIGENE Natur hat!

Im Gegensatz zu manchen Strömungen, die das ‹Natürliche› favorisieren, heisst der von Guf dargelegte Natur-Begriff also NICHT, dass es keine ‹hilfreiche Umwelt› bräuchte, die das Individuum für sich selbst aus dem Angebotenen ‹konstruiert›; es braucht also nicht mehr ‹Autarkie› («ich kann alles allein»), sondern mehr ‹Autonomie› («ich spüre mich selbst in Beziehung mit Anderen»). Und um die genannten Dynamiken greifen lassen zu können (Anregbarkeit, Selbstorganisation, Autonomieerleben), kann es sein, dass man das ganze Spektrum von helfenden Interventionen braucht, je nachdem wie viel oder wie wenig der natürliche Prozess ins Stocken geraten ist. Beispiele für diese ‘helfenden Interventionen sind:

  • freundliches, Mut-machendes, warm-herziges Da-Sein

  • Achtsamkeit für den DIESER Gebärenden eigenen Rhythmik und Zeitdynamik

  • Hinweis auf Haltungs- und Lage- und Bewegungsänderungen

  • wehenanrgende oder -verstärkende Mittel

  • spezielle Schmerztherapien

  • operative Eingriffe, u.v.m.;

Die helfende Umwelt soll mit der richtigen Mischung der oben genannten Beispiele für Massnahmen der Gebärenden helfen, wieder zu ihrem Autonomieerleben zurückzufinden, und sich so unterstützt fühlen, (im Gegensatz zum Erleben, von ‹sich selbst-entfremdet› zu werden, z.B. weil sie sich wie ein ausgeliefertes Objekt fühlt), so dass sie letztendlich sagen kann: «So war MEINE Geburt mit MEINER Natur – so kann ich es als stimmig erleben».

GuF siehe deshalb auch als seine unabtrennbare Aufgabe an, dazu beizutragen, dass – wo nicht gegeben – die Gebärende nach der Geburt wieder ein stimmiges inneres Gefühl (Antonowski spricht von ‹Kohärenz›) über den gesamten Prozess ihrer Geburt und Schwangerschaft aufbauen kann: Dazu ist es wichtig, neben dem Gelungenen auch dem ‹Enttäuschten› und ‹Betrogenen›, den ‹nicht erfüllten Erwartungen› Ausdruck und emontionalen Platz zu geben.